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Barrierefreiheit im Vereinigten Königreich – wie barrierefrei ist Großbritannien’s ÖPNV?

TPMR Royaume-Uni

Barrierefreiheit im öffentlichen Raum – insbesondere im öffentlichen Nahverkehr – ist leider noch immer ein großes Thema, mit dem Menschen mit eingeschränkter Mobilität zu kämpfen haben.

Dabei sollte es auf keinen Fall als Nischenthema behandelt werden: Allein im Vereinigten Königreich leben 13.9 Millionen Menschen, die auf einen barrierefreien öffentlichen Nahverkehr aus unterschiedlichen Gründen angewiesen sind.

Und nicht nur für Menschen mit angeborenen oder permanenten Behinderungen bedeutet die Forderung nach mehr Barrierefreiheit ein Stück mehr Lebensqualität: Menschen jeden Alters und jeder Verfassung können einmal von einer ‚Behinderung‘ betroffen sein: der Jugendliche, der sich beim Sport verletzt hat, die jungen Eltern, die sich mit einem Kinderwagen abmühen müssen oder auch ältere Menschen, die Probleme mit dem Treppensteigen haben.

Der Trend der alternden Bevölkerung wird sich in den kommenden Jahren noch weiter zuspitzen, so wird prognostiziert, dass im Jahr 2050 jeder 4 Einwohner Großbritanniens 65 Jahre und älter sein wird. Ein schlecht erreichbarer Nahverkehr würde dazu beitragen, das ohnehin schon große Problem der Einsamkeit weiter zu intensivieren.

Die Briten haben das Problem erkannt: 2018 wurde vom Government ein Strategiepapier mit dem Titel „Inclusive Transport Strategy: achieving equal access for disabled people“ (kurz IST) veröffentlicht. Das übergeordnete Ziel ist, den öffentlichen Personennahverkehr (gemeint sind alle verfügbaren Transportmöglichkeiten, vom Bus bis zum Flugzeug) bis zum Jahr 2030 für Menschen mit Behinderungen zugänglicher zu machen.

Dieses Strategiepapier legt besonders Augenmerk auf die folgenden 5 Punkte:

1. Sensibilisierung für Fahrgastrechte und deren Durchsetzung

Es kommt vor, dass sich Menschen mit Behinderungen ungerecht behandelt fühlen, etwa wenn versprochene Hilfe nicht gewährleistet wird oder ein anderer Aspekt aufgrund ihrer Behinderung nicht genauso funktioniert, wie es nicht eingeschränkte Menschen erwarten können. Ein Beispiel ist der Fahrpreis, der in keinem Transportmittel, weder Bus noch Taxi, steigen sollte, nur weil beispielsweise ein elektrischer Rollstuhl mitgeführt werden muss.

Die britische Regierung verspricht, bessere Hilfestellung während der gesamten Reise anzubieten und, falls ein Fahrgast eine Beschwerde einreichen möchte, Kommunikationswege zu vereinfachen, damit er oder sie sich auf einfachem Weg äußern kann.

2. Bessere Schulung des Personals

Damit das Personal im öffentlichen Verkehr besser auf die Bedürfnisse von Personen mit Behinderungen eingehen kann, sollen Verkehrsbetreiber dazu ermutigt werden, ihren Angestellten ein entsprechendes Training anzubieten. Im November 2020 wurde daher vom Department for Transport (DfT) ein ‚disability awareness training package‘ eingeführt, das gemeinsam mit dem Disabled Persons Transport Advisory Committee (DPTAC) entwickelt wurde.

Das Ziel soll es sein, nicht nur die Benutzung öffentlicher Transportmittel auf Seiten von mobil eingeschränkten Menschen durch eine professionellere Hilfeleistung zu erhöhen, sondern durch eine öffentliche Kampagne alle anderen Fahrgäste dafür zu sensibleren, dass Diskriminierung strafbar ist und auch entsprechend geahndet werden kann.

3. Bessere Informationen

2018 veröffentlichte das DfT eine interaktive Karte, zunächst auf Bahnhöfe zugeschnitten, die es Fahrgästen einfacher machen soll, mit nur einem Klick Informationen über die Zugänglichkeit bestimmter Haltestellen erhalten zu können. Diese Karte ist speziell auch auf die Bedürfnisse sehbehinderter Menschen zugeschnitten.

Dieses Tool soll Menschen mit Behinderung die Chance geben, ihre Reise freier zu planen und ihnen ein sicheres, Gefühl geben, weil sie verlässlich darüber informiert sind, dass sie an keiner Stelle in der Reisekette plötzlich ‚stecken‘ bleiben könnten.

4. Inklusive (physische) Infrastruktur

Dieser Punkt ist für Menschen mit Behinderung wohl einer der wichtigsten Aspekte, wenn es darum geht, barrierefrei und problemlos unterwegs zu sein.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist natürlich auch das Überwinden von Barrieren, die durch fehlende und nicht verständliche Fahrgastinformationen geschaffen werden. In ihrem Strategiepapier kündigt das DfT daher, neben anderen Investitionen in die bestehende Infrastruktur, an, audiovisuelle Infos in öffentlichen Bussen deutlich zu verbessern und so Menschen eine selbstständigere Reiseplanung zu ermöglichen.

5. Zukunft des inklusiven Verkehrs

Um auch in Zukunft, relevante Mobilitätslösungen bereitzustellen und optimal auf die Bedürfnisse von mobil eingeschränkten Menschen reagieren zu können, wurde 2020 eine groß angelegte Studie erstellt, die sich besonders um die Bereiche Mikrotransit, Busse, Taxen und Leihwagen, sowie Mobility as a Service dreht. All diese Bereiche und noch weitere Aspekte wurden vor dem Hintergrund der Inklusivität betrachtet. Weitere Ergebnisse lassen sich im Detail hier nachlesen.

Wichtig festzuhalten ist, dass das Thema Inklusivität zwingend umfassend berücksichtigt werden muss, gerade wenn wir über zukünftige Mobilitätstrends sprechen. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel die Zugänglichkeit von Mobilitätsdiensten unabhängig von einer physischen Infrastruktur. Da viele dieser Dienste über digitale Medien, wie mobile Apps, gebucht werden können, kann es sein, dass wieder Barrieren entstehen, etwa weil ältere Menschen in der Regel seltener ein Smartphone nutzen. Solche und andere Hindernisse müssen berücksichtigt und behoben werden.

 

Um die Fortschritte auf dem Weg zu einem inklusiveren öffentlichen Personennahverkehr zu dokumentieren, veröffentlicht das britische Government regelmäßig Neuigkeiten auf seiner Website. Diese Strategie ist sicherlich ein wichtiger Schritt, nicht nur, um das Leben vieler Menschen einfacher zu gestalten, sondern auch um zu zeigen „Wir sehen und hören euch und wollen eine inklusivere Gesellschaft erreichen“

              Barrierefreiheit – Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Allerdings bestehen auch andere Barrieren, die nicht einfach mit einer Baumaßnahme verbessert werden können: Toleranz und Unterstützung.

In Großbritannien gibt immerhin jeder vierte mit einer Behinderung an, dass er oder sie sich beim Reisen mit einem öffentlichen Verkehrsmittel, aufgrund von ‚negativen Reaktionen‘ der anderen Passagiere unwohl fühlt und daher weitestgehend auf die Benutzung des öffentlichen Transports verzichtet; weitere 40 % geben an, dass sie häufig auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie mit dem öffentlichen Verkehr reisen wollen (bezogen auf den Bahnverkehr).

Diese Zahlen sind alarmierend und sollten uns daran erinnern, dass es wichtig ist, die Betroffenen in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen, ihnen eine Stimme zu geben und nachzufragen, wie für sie das Reiseerlebnis im öffentlichen Nahverkehr verbessert werden kann.

Zusätzlich sollten wir uns alle bewusst sein, dass es nicht nur physische Barrieren, sondern auch Blicke und Kommentare anderer sind, die Menschen mit Behinderungen davon abhalten, sich in der Öffentlichkeit frei und unbeschwert bewegen zu können. Es ist die Aufgabe jeden einzelnen von uns, mit offenen Augen für die Nöte der Anderen durch den Alltag zu gehen und Barrieren abzubauen, wo wir es nur können.

 

 

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