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Möglichkeiten und Grenzen von Paratransit-Diensten: eine vergleichende Studie zwischen Frankreich und Deutschland

Etude TPMR

Seit Gründung von Padam Mobility im Jahr 2014 ist es unser Anspruch, Mobilitätsangebote für alle zugänglich zu machen, insbesondere für Menschen, die oftmals keine breitgefächerte Auswahl zur Verfügung haben oder auf fremde Hilfe angewiesen sind, um mobil sein zu können.

Wir versuchen, Softwarekomponenten und Funktionen so zu entwickeln und zu designen, dass sie Menschen mit eingeschränkter Mobilität bestmöglich auf ihren alltäglichen Fahrten unterstützen. Beispielsweise indem automatisch spezielle Hilfsmittel, wie ein Rollstuhl, bei der Fahrtenbuchung angegeben werden können oder indem Buchungen von Tür-zu-Tür möglich gemacht werden.

In diesem Sommer wollten wir mehr über die Möglichkeiten, die Nutzung und die Grenzen von Paratransit-Services herausfinden. Also haben verschiedene Menschen nach ihrer Meinung gefragt. Herausgekommen sind interessante, eindrückliche Antworten von insgesamt 48 verschiedenen Personen (34 Französischer Markt (F), 14 Deutscher Markt (D)). Die meisten dieser Personen (97,1 % F; 84,6 % D) sind dabei selbst von eingeschränkter Mobilität betroffen, andere (2,9 % F; 7,7 % D) haben in einem beruflichen Kontext mit diesem Thema zu tun oder sind mit einer mobilitätseingeschränkten Person verwandt (7,7 % D).

Die Umfrage

Die Umfrage wurde zwischen Mai und Juli in Frankreich und zwischen Juni und August in Deutschland online durchgeführt. Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden auf eine ähnliche Weise rekrutiert: Wir kontaktierten Behindertenverbände, dedizierte Facebook-Gruppen und Online-Plattformen und sprachen Betroffene aus unserem privaten Umkreis an. Die Fragebogen wurden anonym ausgefüllt.

Die Befragten

Die meisten Teilnehmer*innen, sowohl in Frankreich, als auch in Deutschland, waren zwischen 25 und 49 Jahre alt (47,1 % F; 50 % D). Auffällig ist, dass darunter besonders in Frankreich viele Menschen keiner Arbeit nachgingen bzw. Hausmann/Hausfrau waren (38,2 %). In Deutschland befand sich unter allen Befragten die Hälfte (50 %) in einer festen Anstellung, immerhin aber auch 35,7 % bereits in Rente. Gerade Menschen, die nicht (mehr) fest in ein Berufsleben eingebunden sind, haben es häufig schwer, Anschluss zu halten, wenn sie ohnehin kein intaktes soziales Umfeld haben. Menschen mit Behinderung sind besonders auf Hilfe angewiesen, passende Mobilitätslösung sind in diesem Zusammenhang ein wichtiger Baustein, der ihnen die Hürde nimmt, am Leben aktiver teilhaben zu können.

Allerdings ist es mit der bloßen Verfügbarkeit von öffentlichem Transport oftmals nicht getan. Die meisten der Befragten haben physische Behinderungen (85,3 % F; 76, 9 % D). Die Fahrt in öffentlichen Transportmitteln ist daher nicht immer einfach. Fehlende Einstiegshilfen oder eine nicht-barrierefreie Infrastruktur können Fahrten, die für ‚nicht eingeschränkte Menschen‘ kein Problem sind, zur Qual machen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass unter allen Befragten die Schlagworte „stressig“, „zeitaufwendig“ und „kompliziert“ am häufigsten genannt wurden, wenn es darum geht, das eigene Empfinden über Reisen im öffentlichen Nahverkehr zu beschreiben.

Interessant ist auch die räumliche Verteilung der Befragten. In Frankreich gaben 41,2 % aller Befragten an, in einer Stadt mit 100.000+ Einwohnern zu wohnen (weitere 23,5 % wohnten nur etwa 20 Kilometer von einer Stadt dieser Größe entfernt). In Deutschland zeichnet sich ein ähnliches Bild ab, hier gaben 45,5 % an in einer Stadt mit 100.000+ zu leben, wobei gleichzeitig 36,4 % 50 oder mehr Kilometer von einer Stadt dieser Größenordnung entfernt leben. Für die Auswertung ist dies eine sehr interessante Situation. Zwar kann nicht zugeordnet werden, von welchem Teilnehmer oder Teilnehmerin welche Antwort kam, dennoch kann anhand der weiteren Aussagen abgeleitet werden, ob bestimmte Zustände deutlich polarisieren, also in großen Städten und im ländlichen Raum anders sind, oder ob sich beide Gebiete ähnlich zueinander verhalten.

Nutzung von Technik

Als Anbieter von Software und insbesondere auch Hersteller von Anwender-Software, war es uns natürlich sehr wichtig zu erfahren, wie firm die Befragten im Umgang mit dem Smartphone sind. Fahrten mit unseren Diensten lassen sich über drei unterschiedliche Kanäle buchen: Buchungs-Website, Nutzer-App und über ein Callcenter. Diese Buchungskanäle barrierefrei zu gestalten und stetig zu verbessern, ist eines unserer Hauptanliegen. Da wir später im Fragebogen noch einmal darauf zurückkommen, welche technischen Hilfsmittel von unseren Teilnehmer*innen als sinnvoll erachtet werden bzw. welche Features sie noch vermissen, ist es hilfreich, dass unter den Befragten fast jeder mit der Nutzung eines Smartphones vertraut ist (97,1 % F; 92,9 % D).

Das Mobilitätsverhalten

Wenig überraschend sind die Gründe, warum die Befragten meistens im Alltag unterwegs sind. Die häufigsten Antworten waren diesbezüglich in Frankreich administrative Termine, Arztbesuche, etc. (76,5 % F) und allgemeine Einkäufe (79,4 % F), in Deutschland gaben die meisten Befragten an, Freunde und Familienmitglieder zu besuchen (84,6 %) oder Freizeitaktivitäten (76,9 %) nachzugehen. Interessant ist, dass Mobilität von den Teilnehmer*innen besonders mit alltäglicher Freizeitgestaltung verbunden ist, weniger mit z. B. Pendeln oder Tourismus. Dies ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass sich öffentlicher Verkehr, besonders in ländlichen Regionen, nicht zu stark auf den Schul- und Arbeitsverkehr konzentrieren sollte, auch während Off-Peak-Zeiten sollten Menschen die Möglichkeit bekommen, flexibel von A nach B zu kommen.

Begleitung von Paratransit-Nutzern

Es ist wichtig, dass Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen insbesondere auf Reisen auf Hilfe angewiesen sind, sicher sein können, dass diese Hilfe auch gewährleistet wird. Wir sind der festen Überzeugung, dass auch technische Lösungen dazu beitragen können, Prozesse zu vereinfachen, zum Beispiel eine Begleitpersonen anzugeben, um diese problemlos kostenfrei mitnehmen zu können. Von den Teilnehmer*innen unseres Fragebogens wollten wir daher wissen, wie ihre Gewohnheiten in Bezug auf ‚Begleitetes Fahren‘ sind. Werden sie begleitet? Wenn ja, wie häufig? Und gibt es Punkte, die hier verbessert werden können?

Bei den Antworten fiel auf, dass professionelle Hilfe, etwa von Pflege- oder Betreuungspersonal, kaum in Anspruch genommen wird und sowohl in Frankreich (70 %), als auch in Deutschland (48,9 %) die meisten hilfsbedürftigen Personen von ihnen vertrauten Personen, Familienangehörigen oder Freunden, begleitet werden.

Die Wahl des Verkehrsmittels

Dass in unserer Fallstudie die meisten Menschen mit eingeschränkter Mobilität nicht von professionellen Hilfskräften begleitet werden, hängt natürlich auch mit der Wahl des Transportmittels zusammen.

Spezielle Paratransit-Dienste, werden in beiden Ländern eher selten genutzt. Unter allen Befragten gaben nur 5 % der Franzosen an, Paratransit-Dienste in Anspruch zu nehmen, in Deutschland waren es 21,43 %. Diese Zahlen lassen aufhorchen, da die Anzahl derer, die spezielles Equipment auf ihren Fahrten benötigen, wie etwa einen Rollstuhl, eher hoch ist (55,9 % F; 57,14 % D).

Viele der Befragten greifen am liebsten auf ihr eigenes Auto, speziell an ihre Behinderung angepasst oder nicht, zurück.

In Bezug auf den allgemein verfügbaren, öffentlichen Verkehr gaben einzelne Personen an, dass der „ÖPNV und die Bahn als Rollstuhlfahrer nicht akzeptabel“ sein. Barrierefreiheit spielte auch für andere Personen, die die freien Textfelder nutzen, um persönliche Meinungen abzugeben, eine große Rolle.

Ein anderer wichtiger Punkt ist das Thema ‚Unabhängigkeit‘ und ‚Angebot‘. Ein sehr lückenhaftes Angebot, keine Planungssicherheit, etc. macht es den Befragten schwer, auf ihr individuelles Auto zu verzichten:

“Das Auto ist individuell nutzbar“

“Sie sind spontaner als mit dem ÖPNV“

“[Das Auto] ist am schnellsten und flexibelsten

“Weil wir mit dem Auto unabhängiger sind (früher sind wir mehr Bahn gefahren)“

Andere sprachen sich im Gegenzug für den ÖPNV aus und erklärten, warum sie keinen speziellen Paratransit-Dienst in Anspruch nehmen folgendermaßen:

„Öffentliche Verkehrsmittel sind bequemer als ein angepasstes Verkehrsmittel, das man je nach Ort einen Tag oder länger im Voraus buchen muss“.

„Man muss eine Reise im Voraus planen

„Eingeschränkte Fahrpläne, hohe Kosten

„Sie verlangen, dass man die Dienste mindestens 48 Stunden im Voraus bucht“

Spontanität, Flexibilität und einfachere Bedienung sind Attribute, die eher dem privaten Auto zugeschrieben werden und auffällig häufig genannt worden. Wenn erreicht wird, dass Verkehrsdienste für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ähnlich einfach bedienbar sind und gewährleistet wird, dass das benötigte Equipment problemlos mitgenommen werden kann oder sich generell die Verfügbarkeit verbessert, ist dies ein wichtiger Schritt, um Menschen mit eingeschränkter Mobilität ein ähnlich komfortables Erlebnis mit einem On-Demand-Transport bieten zu können, wie es Menschen, die sich frei bewegen können, erleben können.

Erwartungen an einen Paratransit-Service

Zwar nutzen die meisten Teilnehmer*innen der Umfrage keine Paratransit-Dienste, trotzdem gibt es eine Menge Erwartungshaltungen, wie ein verbesserter Service aussehen kann. Hier die wichtigsten Forderungen auf einen Blick:

  • Die Möglichkeit haben, den Service in Echtzeit zu buchen
  • Eine besser ausgestattete Fahrzeugflotte
  • Ein besseres Service-Angebot (häufigere Fahrten, größeres Servicegebiet, etc
  • Bessere Verbindung mit anderen bestehenden Transportdiensten, auch nicht-Behindertentransportdienste
  • Verbesserte Buchungsoberflächen und Fahrgastinformationen

Erwartungen an digitale Tools

Wie zu Beginn bereits angedeutet, ist ein zentrales Anliegen von uns, auch die technischen Hilfsmittel, die Paratransit-Nutzern zur Verfügung haben oder noch vermissen, genau zu untersuchen. Im Fragebogen haben wir daher gefragt, welche Erwartungen Paratransit Nutzer an digitale Funktionen haben.

Nachfolgend sind die meist genannten Antworten gelistet:

  • Informationen über die Fahrt im Voraus und in Echtzeit
  • Möglichkeit, direkten Kontakt mit dem Fahrer/der Fahrerin aufzunehmen
  • Informationen über die Zugänglichkeit von öffentlichen Orten in der Nähe der Route
  • Die Möglichkeit, den Dienst zu bewerten, zu kommentieren und die Kommentare anderer Nutzer zu lesen

Zusammenfassung

Mobilität ist ein Grundbedürfnis aller Menschen, dass in einer funktionierenden Gesellschaft jedem und jeder möglichst passgenau zur Verfügung gestellt werden sollte. Menschen mit eingeschränkter Mobilität erleben jedoch häufig Schwierigkeiten. Von nicht-barrierefreien Fahrzeugen zu nicht-angepassten digitalen Tools, Stolpersteine lauern an vielen Stellen und können das Nutzungserlebnis erheblich einschränken. Das kann so weit gehen, dass Menschen mit eingeschränkter Mobilität ganz aufhören, sich auf Fahrdienste zu verlassen und nach Möglichkeit lieber auf ein individuelles Fahrzeug zurückgreifen.

Besonders häufig wird beklagt, dass Paratransit-Dienste oft lange im Voraus gebucht werden müssen, was spontane Fahrten unmöglich macht. Was die Technologie betrifft, so fehlt es noch immer an Echtzeitinformationen. Nichts ist unangenehmer, als deutlich länger als angegeben auf das Fahrzeug warten zu müssen.

Natürlich ist es aufgrund der Heterogenität unserer Befragten, insbesondere in Bezug auf ihren Wohnort, nicht möglich, spezifische Tipps für bestimmte Gebiete zu geben. Die geäußerte Unzufriedenheit der Teilnehmer zeigt jedoch, dass es ein deutliches Verbesserungspotenzial gibt.

Wir bei Padam Mobility bieten für solche Zwecke Beratungen und Simulationen an, die es erleichtern, über verschiedenste Ressourceneinsätze zu entscheiden. Auf diese Weise und durch die enge Zusammenarbeit mit betroffenen Personen, können wir es nach und nach erreichen, Mobilitätsdienste und technische Funktionen bereitzustellen, die für Menschen mit eingeschränkter Mobilität einen echten Unterschied machen.

 

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