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Diskussion mit Laurent Chevereau, Forschungsleiter im Bereich „MaaS“ bei Cerema

MaaS - système d'information intermodale

2019 hat das Cerema (französisches Zentrum für Studien und Expertise zu Risiken, Umwelt, Mobilität und Stadtplanung) das MaaS-Observatorium gegründet, das alle Initiativen zu MaaS oder intermodalen Systemen auf französischem Territorium auf einer einzigen Plattform erfasst. Das Ziel dieser Plattform ist es, Wissen über MaaS zu teilen.

Um das Thema Mobility as a Service weiter zu erforschen, haben wir uns mit einem Experten für MaaS in Frankreich ausgetauscht. Laurent Chevereau ist seit fast drei Jahren Leiter des Forschungsprojekts „MaaS“ bei Cerema.

Was ist der Ansatz von Cerema in Bezug auf MaaS?

Laurent Chevereau: Wie bei vielen Themen hat Cerema die Mission, Wissen zu vermitteln. Das ist der Grund, warum wir viele Informationen und gute Praxisbeispiele erarbeiten und warum wir das MaaS-Observatorium in Zusammenarbeit mit nationalen Partnern ins Leben gerufen haben, das alle MaaS-Akteure zusammenbringt. Die Idee ist, den Austausch zu erleichtern, ohne unbedingt zu vergleichen, um zu vermeiden, dass jeder sein eigenes Modell neu erfindet. Das Wissen über MaaS muss eine gemeinsame Ressource sein.

Für uns, wie auch für viele lokale Behörden, ist es das Ziel, MaaS
zu nutzen, um spezifische öffentliche Ziele zu erreichen. Das muss nicht heißen, dass so ein System einfach zu implementieren ist. Bei Cerema versuchen wir, die Notwendigkeit einer Evaluierung voranzutreiben: Es gibt einige Untersuchungen zur Auswertung der Auswirkungen von MaaS, allerdings längst nicht genug, selbst auf internationaler Ebene. In Europa sehen wir, dass die Effekte von MaaS nicht zwangsläufig positiv sind. So können wir beispielsweise am MaaS Projekt „Whim“ in Helsinki sehen, dass zwar die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel gefördert wird, andererseits aber der Anteil von Fußgängern und Radfahrern aufgrund der zunehmenden Nutzung von Leihwagen sinkt.

Welche Art von Ratschlägen geben Sie für den Einsatz von MaaS-Lösungen in ländlichen oder stadtnahen Gebieten?

L.C: Um ein MaaS-Projekt aufzusetzen, muss man zunächst die Ziele festlegen, die das jeweilige Gebiet erreichen möchte. Das ist sehr wichtig, ebenso wie die Wahl der Zielgruppe, denn ich glaube nicht, dass man ein MaaS für alle entwickeln kann, das alle Ziele erfüllt.

Kurz gesagt, die Idee ist, ein oder zwei Ziele zu definieren, ein Hauptanliegen und dann das Produkt: Typ, Ergonomie, Preispolitik und Support.

In weniger dicht besiedelten Gebieten besteht in der Regel ein größerer Bedarf an Austausch und Eingewöhnung an so eine Art von Tool, weil die lokalen Behörden diesbezüglich oft nicht über die nötigen Kompetenzen verfügen. Es fehlen auch die finanziellen Mittel.

MaaS kann es schaffen, verschiedene Gebiete, auch die abgelegensten, zusammenzubringen und zu verbinden. Damit dies geschehen kann, müssen digitale Dienste entwickelt werden, die qualitativ hochwertige intermodale Informationen bereitstellen. Welchen anderen großen Herausforderungen muss sich MaaS zusätzlich stellen?

L.C: Ich denke, dahinter steckt eine große Marketing-Herausforderung. In großen Städten kennt jeder den Namen des jeweiligen Verkehrsnetzes, aber in dünn besiedelten Gebieten wissen die Menschen nicht unbedingt, wer für den Transport zuständig ist und kennen nicht automatisch den Namen des Netzes. Es reicht nicht aus, einen effizienten digitalen Service zu entwickeln, man muss ihn auch bekannt machen und nutzen, was in ländlichen Gebieten, wo die digitale Nutzung weniger verbreitet ist, nicht einfach ist. Beim regionalen intermodalen System sehen wir auch, dass die Nutzung im Vergleich zu den Kosten der Implementierung recht gering ist.

Unsere neuestes White Paper unterstützt die Vision eines nachhaltigen MaaS, das näher an den Gebieten sein sollte, um sich als Katalysator für Mobilitätsangebote zu positionieren, auch für die besonders schwachen Bevölkerungsgruppen. Wie kann die Entwicklung intermodaler Logiken diesen Gebieten zugutekommen? Ist MaaS das richtige Werkzeug dafür?

L.C: Ich denke, dass wir zunächst einmal die regelmäßigen Nutzer von den Gelegenheitsnutzern trennen sollten. In ländlichen Gebieten werden alternative Lösungen zum Auto (DRT, Fahrgemeinschaften, etc.) kurzfristig schwer zu verbreiten sein, wenn es um alltägliche Fahrten geht. In Saint-Etienne (Frankreich) unterscheidet sich z. B. die Oberfläche der Moovizy-Anwendung, je nachdem, ob der Nutzer ein regelmäßiger oder unregelmäßiger Nutzer ist. Der Vorschlag von intermodalen Lösungen kann ein Pluspunkt für diese Gebiete sein, aber es ist vor allem der multimodale Aspekt, der für diese Gebiete wichtig ist. MaaS-Tools können dabei helfen, den richtigen Modus zur richtigen Zeit zu identifizieren.

Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen ist eines der Hauptziele von MaaS. Im Zusammenhang mit Lärm und Umweltverschmutzung wird oft das Auto verantwortlich gemacht, vor allem in den Innenstädten. Hat die Nutzung des Autos einen Platz in einem MaaS-System?

L.C: Bei Cerema verteidigen wir die Ansicht, dass jede Form der Mobilität ihren berechtigten Platz in diesem System hat. Um es schlicht auszudrücken, in der Stadt hat das Auto seinen Platz vor allem nachts, wenn es keine relevanten Angebote mehr gibt oder für spezifische Bedürfnisse wie etwa bei Großeinkäufen.

In dünn besiedelten Gebieten hat das Auto nicht die gleichen negativen Begleiterscheinungen wie in der Stadt. In Bezug auf das Klima sind die Auswirkungen in etwa gleich, aber andere Nachteile, wie etwa verstopfte Straßen und Staus sind nicht vergleichbar.

Daher muss die Reduzierung der Autonutzung ein Ziel sein, aber nicht unbedingt das primäre in allen Gebietstypen. In weniger gut versorgten Gebieten muss das vorrangige Ziel sein, jedem eine Mobilitätslösung zu ermöglichen. Dies kann Lösungen beinhalten, die zwar mehr Emissionen verursachen, die aber in dichten Gebieten durch modale Verlagerungen weitgehend kompensiert werden.

MaaS bringt eine Vielzahl von Akteuren zusammen und wirft damit die Frage der Steuerung auf. Wenn man die soziale und ökologische Rolle von MaaS berücksichtigt, was wäre die ideale Form der Governance?  Wer sind die am besten geeigneten Akteure für die Entwicklung, Kontrolle und Integration?

L.C: Generell gilt: Selbst wenn private Akteure Lösungen für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe anbieten, sind die lokalen Behörden am ehesten legitimiert, ein MaaS zu entwickeln. In London wurde beispielsweise die PTA (Administration des Öffentlichen Nahverkehrs) kürzlich dazu verpflichtet, selbst eine Lösung für die Beförderung von Personen mit eingeschränkter Mobilität vorzuschlagen.

Nichtsdestotrotz suchen die lokalen Behörden nach dem besten Weg, private Akteure einzubinden, und einige denken über neue Arten von öffentlich-privaten Partnerschaften nach.

Ist die Frage der Finanzierung heute das zentrale Thema für MaaS?

Ich denke ja. Private Akteure haben heute noch kein solides wirtschaftliches Modell gefunden, vor allem weil es noch keine Standardisierung und keinen einfachen Zugang zu Vertriebsdienstleistungen gibt.

Bei öffentlichen MaaS haben die Kommunen in der Tat Finanzierungsschwierigkeiten. Nichtsdestotrotz beginnen sich einige MaaS zu entwickeln, weil technologische Lösungen allmählich zu geringeren Kosten verfügbar sind.

In anderen Ländern [als in Frankreich] gibt es mehr nationale Mittel, um die Einführung von MaaS zu unterstützen und die Akteure zu vereinen.

Intermodalität wirft natürlich die Frage nach der Integration von Ticketingsystemen auf, und ich nehme an, dass Sie sich mit diesem Thema eingehend beschäftigt haben. Wo stehen wir heute und was sind die technischen Hindernisse für die Integration der Ticketingsysteme der verschiedenen Betreiber?

Große städtische und regionale Netze haben oft ein kartenbasiertes Ticketing-System. Dies erschwert die Interoperabilität mit anderen Mobilitätslösungen. In den letzten Jahren wurde jedoch zunehmend Light-Ticketing auf Backoffice-Basis entwickelt, bei dem der Träger nur eine Kennung hat (QR-Code, Mobile-Ticket). Auf regionaler Ebene oder in Großstädten werden die meisten MaaS versuchen, beides zu mischen, um große Verkehrsnetze nicht auszuschließen, aber dennoch die Vorteile des Light Ticketing zu nutzen und die Integration von digital basierten Mobilitätsdienstleistungen zu erleichtern. In kleineren Städten ist es einfacher, das gesamte System auf Light Ticketing aufzubauen.

Im Rahmen des MaaS-Observatoriums haben wir uns mit dem Thema Fahrgemeinschaften beschäftigt und zu dem Thema Ticketing mehrere Ansätze gefunden. In Nantes zum Beispiel nutzt Klaxit die Ticketing-Karte des Nahverkehrsnetzes: Durch Eingabe der Kundennummer in der Applikation wird ein vergünstigter Tarif angeboten.

Das dynamische DRT-Angebot wird oft als MaaS-Enabler bezeichnet. Was bedeutet der Begriff MaaS-Enabler für Sie und welche Rolle sehen Sie für den On-Demand-Transport im MaaS-Produktportfolio?

MaaS hat eine echte Berufung, dynamischen DRT in sein Produktportfolio zu integrieren, es gibt ein starkes Interesse. Allerdings bin ich etwas überrascht, dass die lokalen Behörden nicht stärker involviert sind. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass dynamische DRT-Tools relativ neu ist


Cerema ist eine öffentliche Einrichtung, die sich der Unterstützung öffentlicher Maßnahmen widmet und unter der gemeinsamen Aufsicht des französischen Ministeriums für den ökologischen Wandel und des Ministeriums für territoriale Kohäsion und Beziehungen zu den lokalen Behörden steht.

Cerema veröffentlicht Best Practices und trägt zur Umsetzung von barrierefreien Mobilitätsmaßnahmen und -dienstleistungen bei, die an die sozialen und wirtschaftlichen Besonderheiten der Gebiete angepasst sind.

 

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